Alpenstaudämme im Zeitalter der Multifunktionalität

Anlässlich der Verleihung des #prixalpiq in Martigny, die im Anschluss an ein von der Universität Lausanne und dem Stromversorger organisiertes wissenschaftliches Kolloquium stattfand, stellte Amédée Murisier, Schweizer Direktor von Alpiq, seine Vision der Multifunktionalität von Alpenstaudämmen vor. Über theoretische Überlegungen hinaus betonte er die Notwendigkeit konkreter Maßnahmen und führte als Beispiel das Projekt des Gornerli-Staudamms oberhalb von Zermatt an.

„Alle befürworten die Multifunktionalität von Staudämmen. Aber was wird tatsächlich konkret unternommen?”, fragt Amédée Murisier. Die Theorie ist bekannt – Staudämme können neben der Energieerzeugung auch für die Industrie, die Landwirtschaft oder den Hochwasserschutz genutzt werden –, doch die Umsetzung bleibt komplex. «Wie wir auf dem Kolloquium gesehen haben, ist man sich noch unsicher, welche Haltung man einnehmen soll. Es gibt eine Vielzahl von Optionen für die Wasserbewirtschaftung, zentralisiert oder dezentralisiert. Je mehr man nach einem systemischen Ansatz sucht, desto komplizierter wird es, die Interessen in Einklang zu bringen. »

Der Schweizer Direktor von Alpiq betont auch die lokale Dimension dieser Problematik. Im Wallis beispielsweise gehört das Wasser den Gemeinden, und jede Gemeinde kann darüber nach eigenem Ermessen verfügen. Wie kann also eine gerechte Verteilung der Ressourcen gewährleistet werden, ohne den Interessen der verschiedenen betroffenen Gemeinden zuwiderzulaufen?

Jeder Staudamm hat einen einzigartigen Kontext

Die Komplexität nimmt noch zu, wenn man die Infrastrukturen selbst betrachtet. «Jede Anlage ist einzigartig. Man muss die Herausforderungen gut verstehen, um sich in den Kontext jeder Nutzung vertiefen zu können», erklärt Amédée Murisier. Seiner Meinung nach liegt das Erfolgsrezept in einem genauen Verständnis der lokalen Kontexte mit ihren Akteuren und ihren spezifischen Bedürfnissen.
Multifunktionalität ist bei vielen Schweizer Staudämmen bereits Realität, auch wenn sie nicht gesetzlich festgelegt ist. «Bei der Grande Dixence beispielsweise wird sie bereits für das Hochwassermanagement genutzt.»

Der Gornerli, ein Laboratorium für Multifunktionalität

Das Projekt des Gornerli-Staudamms oberhalb von Zermatt veranschaulicht diesen Ansatz perfekt. «Er hat den Vorteil, ein Kind seiner Zeit zu sein. Wir müssen uns also fragen, wie wir ihn unter dem Gesichtspunkt der Multifunktionalität realisieren können, aber auch unter Berücksichtigung der natürlichen und klimatischen Herausforderungen», betont Amédée Murisier.
Dieser Staudamm wird die Sicherheit von Zermatt und seinem Tal erhöhen und verfügt über eine bedeutende Hochwasserrückhaltekapazität. «Mehr als ein Drittel eines Jahrhunderthochwassers könnte durch den Staudamm zurückgehalten werden», präzisiert er. Das Projekt zielt auch auf eine Übertragung der Energieproduktion vom Sommer auf den Winter von maximal 650 Millionen kWh ab.
Mehr als zwanzig Unternehmen und wissenschaftliche Partner arbeiten derzeit an diesem Projekt, darunter Forschungsinstitute, Interessengemeinschaften, Gemeinden, Stromerzeuger, Umweltverbände, Ingenieurbüros, die Bevölkerung und sogar Bergführer.

Zeit zum Handeln

Für Amédée Murisier ist die Zeit des Zögerns vorbei. „Es gibt eine Zeit zum Nachdenken und Analysieren, und es gibt eine Zeit zum Handeln. Wir müssen jetzt handeln, auch wenn die Überlegungen noch nicht vollständig abgeschlossen sind, um angesichts der Größe der Herausforderungen nicht in Untätigkeit zu verfallen.“ Der Manager ruft dazu auf, einen gemeinsamen Weg zu finden, ohne sich in Partikularinteressen zu verlieren.

Dynamisches und anpassungsfähiges Management

Über den formalen Rahmen hinaus plädiert Amédée Murisier für ein dynamisches Management der Erwartungen. „Es ist schwierig, ein Dokument für das Management eines Staudamms für 80 Jahre zu verfassen. Die Erwartungen müssen dynamisch und innovativ gemanagt werden“, erklärt er.Dieser Ansatz muss die besondere Zeitlichkeit von Wasser und Wasserkraft berücksichtigen. «Der Marktpreis ändert sich von Sekunde zu Sekunde, die Entscheidung zum Pumpen und Turbinieren kann innerhalb weniger Minuten getroffen werden, die Speicherung von Wasser für die Winterproduktion im Laufe der Jahreszeiten, Staudämme und ihre Konzessionen prägen etwas mehr als ein Jahrhundert, der Wasserkreislauf dauert Jahrtausende. Die Uhr tickt nicht mit derselben Geschwindigkeit. Aber wir müssen uns an diese Komplexität anpassen, um das energetische Gleichgewicht der Schweiz zu finden.»
Der Schweizer Direktor von Alpiq kam auch auf Beispiele aus dem Ausland zurück, wie beispielsweise Serre-Ponçon in der Durance in Frankreich, dessen besonderes Multifunktionsmanagement während des Kolloquiums vorgestellt wurde. Diese entscheidende Phase, die durch den Bau neuer Staudämme und die Rückgabe von Konzessionen gekennzeichnet ist, stellt seiner Meinung nach eine einmalige Gelegenheit dar, die Bewirtschaftung unserer Wasserressourcen gemeinsam und innovativ zu überdenken.

Interview vom 28.10.2025
Foto: Alpiq | Colla Images

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